Muskeln arbeiten nie isoliert, sondern als Funktionseinheiten von unzähligen Muskeln. Diese Muskelketten ziehen sich über den gesamten Körper von Kopf bis Fuss und bilden ein stabiles Muskelkorsett. Dr. med. Richard Smíšek, Leiter des Rehabilitationszentrums Smíšek in Prag, forscht seit 30 Jahren auf diesem Fachgebiet. Bis heute wurden fünfzig verschiedene Muskelketten entdeckt und in ihrer Anatomie und Funktion beschrieben. Dabei stellte Smíšek fest, dass es zwei komplementäre, sich ergänzende Muskelkettensysteme im Körper gibt: gerade (vertikale) und spiralförmige Muskelketten. Während die Vertikalen uns im Stehen aufrecht halten, stabilisieren die Spiralförmigen die Bewegung. Dies kann man sich folgendermassen vorstellen: Beim Gehen rotiert der Beckengürtel gegen den Schultergürtel. Das Standbein stabilisiert den Körper, damit das freie Bein einen Schritt nach vorne machen kann. Diese Stabilität in der Drehbewegung ermöglichen die spiralen Muskelketten.
Durch die Aktivität der spiralen Muskelketten beim Gehen wird der Bauchumfang zusammengezogen und die Wirbelsäule in die Höhe gestreckt. Gleichzeitig werden die vertikalen Muskelketten, insbesondere der gerade Rückenstrecker (m. erector spinae), in ihrer Aktivität gehemmt. Bauch, Gesäss und Fussgewölbe werden aktiviert. Auf diese Weise werden die Bandscheiben bei jedem Schritt abwechslungsweise belastet und entlastet. Wie Schwämme saugen sie sich voll mit nährstoffreicher Flüssigkeit die sie umgibt, und geben diese wieder ab. Der Stoffwechsel ist im Gleichgewicht und die Bandscheiben können sich kontinuierlich regenerieren.
Die vertikalen und spiralen Muskelketten verhalten sich zueinander wie Bizeps und Trizeps: Während der eine arbeitet, ist der andere entspannt. Eine Aktivität des Bizepsmuskels bewirkt automatisch eine neuromuskuläre Hemmung der Aktivität des Trizepsmuskels und umgekehrt. Der Muskeltonus des Gegenspielers wird sogar tiefer, als es in der entspannten Ruheposition der Fall ist. Dieser Mechanismus (reziproke Inhibition) läuft völlig autonom ab und dient dazu, eine Bewegung mit kleinstmöglichem Kraftaufwand auszuführen.
Durch die moderne Lebensweise sitzen wir viele Stunden am Tag. In der Schule, im Büro, am Esstisch, im Auto, auf dem Sofa. Wir benutzen hauptsächlich die geraden Muskelketten, um uns aufrecht zu halten. Die spiralen Muskelketten verkümmern und werden schwach. Ihre Funktion wird von den vertikalen Muskelketten übernommen. Diese müssen nun doppelt so hart arbeiten und haben keine Erholungsphase mehr. Bereits während der Schulzeit kann beobachtet werden, wie sich die Bewegungskoordination dadurch verändert. Ein Kleinkind, das eben gelernt hat zu laufen, bewegt sich vollkommen natürlich mit Spiralstabilisation. Dieses Bewegungsmuster ist wie eine Software von Geburt an im Kleinhirn abgespeichert. Ist nun die Bauch- und Gesässmuskulatur durch das viele Sitzen abgeschwächt, funktioniert die Spirale als Funktionseinheit nicht mehr. Der Oberkörper wird bei der Vorwärtsbewegung leicht nach vorne gebeugt, die Rotation von Schulter- und Beckengürtel fehlt weitgehend. Das Hüftgelenk bewegt sich nur noch eindimensional wie ein Scharniergelenk. Das Fussgewölbe wird nicht mehr richtig aktiviert und flacht ab. Wir können uns ohne Aktivität der spiralen Muskelketten vorwärtsbewegen. Diese Bewegungskoordination bedeutet jedoch ständiger Druck auf die Wirbelsäule. Zusammen mit dem häufigen Sitzen führt sie zu den bekannten Beschwerden: Überlastung und Schmerzen, verspannte Rückenmuskulatur, Verschleiss der Bandscheiben und Gelenke, Arthrose, Platt-, Senk- und Spreizfuss, Hallux valgus. Weitere Folgen sind Durchblutungsmangel und verminderte Funktion des Gehirns, der Sexualorgane und der inneren Organe, bis hin zu psychischen Belastungen.
Um diese Tendenz umzukehren, braucht es gezielte Trainingsübungen. Mit dem spiraldynamischen Muskelkettentraining werden die spiralen Muskelketten gekräftigt und die vertikalen gedehnt und entlastet. Das angeborene Bewegungsprogramm im Gehirn wird re-aktiviert und die natürliche Bewegungskoordination kann zunehmend in den Alltag integriert werden.